Zeit für DDR-Geschichte bereitstellen

Zeitknappheit ist ein großes Problem bei der Vermittlung der DDR-Geschichte, vor allem am Ende der 10. Klasse. Judith Mayer, Gedenkstättenpädagogin an der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, zeigt fächerübergreifende Ansätze auf, die Zeit schaffen.
Autoren/Team

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  • Judith Mayer Gedenkstättenpädagogin an der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, Erfurt
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Quelle: https://geschichtsbewusst.de/material/zeit-fuer-die-ddr-geschichte-moeglich-machen/

Zeit für DDR-Geschichte bereitstellen

Autoren/Team:

Judith Mayer Gedenkstättenpädagogin an der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, Erfurt
Zeitknappheit ist ein großes Problem bei der Vermittlung der DDR-Geschichte, vor allem am Ende der 10. Klasse. Judith Mayer, Gedenkstättenpädagogin an der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, zeigt fächerübergreifende Ansätze auf, die Zeit schaffen.

Zeitknappheit gezielt entgegenwirken

Bund für Bildung: Welche zentrale Herausforderung begegnet Dir bei Deiner Arbeit immer wieder?

Judith Mayer: Zeit ist die große Herausforderung fast aller Gruppen, die zu uns kommen. Ein bis zwei Geschichtsstunden haben Jugendliche pro Woche in der 10. Klasse. Nach dem Nationalsozialismus soll mit der DDR die zweite deutsche Diktatur in einem Schuljahr vermittelt werden. Die Komplexität der DRR lässt sich schwer in einigen wenigen Geschichtsstunden zum Jahresende darstellen. In vielen Lehrplänen ist das Lernen am anderen Ort verankert, doch auch die Zeit dafür ist begrenzt. Um dieser Verknappung entgegenzuwirken, bieten wir in der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße fächerübergreifende Bildungsformate an, die einen Teil dieser Herausforderungen abfangen. Die Freistellung für die Gedenkstättenfahrt können so schulintern besser begründet werden.

Raum für fächerübergreifende Formate

Welche fächerübergreifenden Formate habt ihr entwickelt?

Besonders im Bereich Medienbildung sind wir fächerübergreifend tätig. Regelmäßig kooperieren wir mit Radio F.R.E.I., einem lokalen Radiosender aus Erfurt. »Andreasstraße ON AIR« heißt das gemeinsame Projekt. Die Schulklasse erstellt in zwei bis fünf Tagen eine Sendung, die im Programm von Radio F.R.E.I. ausgestrahlt und im Internet zum Download bereitgestellt wird. Neben der Möglichkeit, die Geschichte des Ortes zu erforschen, lernen die Schülerinnen und Schüler auch die Redaktions- und Studioarbeit kennen. Die Klasse wird in die journalistischen Grundlagen sowie Radiotechnik eingeführt, um anschließend eigenständig Audiobeiträge zu selbstgewählten Themen zu erstellen. Dabei können die Lernenden selbstständig Interviews führen und das im Workshop erlernte Wissen in ihren Beiträgen anwenden. Diese Form der Erarbeitung und Ergebnispräsentation ermöglicht der Klasse einen kreativen Zugang zur Geschichte des Hauses. Auch die Thüringer Landesmedienanstalt ist in diesem Zusammenhang eine wichtige Kooperationspartnerin. Wir arbeiten für dieses Projekt im Tandem mit Medienpädagoginnen und Medienpädagogen, die nicht nur die Technik erklären, sondern auch, wie journalistisches Arbeiten funktioniert, Interviews geführt oder Beiträge gebaut werden.

Fachspezifischer Zugänge in Bildungsangebote einbinden

Es sind meist die Deutschlehrerinnen und – lehrer, die uns Anfragen schicken, denn das Thema »Literatur und Zensur in der DDR« ist auch ein gern nachgefragtes Thema. Aber auch Lehrkräfte für Sozialkunde, Wirtschaft und Recht, Ethik oder Religion fragen uns für entsprechende Schwerpunktsetzungen am. Hier gehen wir in Führungen vertiefend auf Planwirtschaft, politische Parteien, fehlende Gewaltenteilung oder die Kirchen in der DDR ein. Zu all diesen Themen gibt es Räume in der Dauerausstellung, sprechen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auf Medienstationen und bieten Exponate Auseinandersetzungsmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang gibt es auch eine steigende Nachfrage an fremdsprachigen Führungen, etwa für bilinguale Schulklassen, die ganze Schulfächer in Fremdsprachen vermittelt bekommen.

Durch die Comics in der Dauerausstellung und auf dem Kubus machen wir natürlich auch immer wieder künstlerische Projekte. Dann arbeiten wir mit Grafikerinnen und Grafikern oder Zeichnerinnen und Zeichnern zusammen.  Unser aktuelles Projekt »Vor dem Verschwinden. Spurensuche nach politischer Kunst aus der DDR« verbindet den Geschichts- und Kunstunterricht, kann je nach Kunstwerk aber auch andere Berichte des Lebens in der DDR aufgreifen.

Beim Vorwissen der Jugendlichen ansetzen

Welchen Mehrwert bieten diese Formate?

Schülerinnen und Schüler besuchen die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße mit einem bestimmten Bild und Vorwissen über die DDR. Nach ihren Vorstellungen gefragt, berichten Jugendliche zu Beginn von Führungen und Projekten von Repressions- oder Alltagserfahrungen von Verwandten oder sie erzählen Beispiele aus Filmen und Serien nach. Wir arbeiten mit diesen Vorkenntnissen, haben bei fächerübergreifenden Ansätzen aber auch noch mehr Möglichkeiten, Themen miteinander zu verknüpfen.

Bei einem Comic- und Filmworkshop mit einer Schulklasse haben wir Gestaltungsprinzipien aus dem Kunstunterricht einbezogen und die Deutschlehrerin war begeistert, weil wir über Spannungsaufbau, wie er auch in Dramen vorkommt, gesprochen haben. Diese Vermittlungskonzepte zeigen den Jugendlichen dann auch, wo sie Wissen aus anderen Fächern anwenden können. Bei kreativen Formaten ist manchmal auch das Zeichentalent der Schülerinnen und Schüler gefragt. Die theoretische Frage, wofür sie etwas Bestimmtes in der Schule lernen, können wir in diesen Projekten auch sehr praktisch beantworten.

Gibt es eine Möglichkeit in diese Projekte hineinzuschauen, zum Beispiel eine dieser Radiosendungen anzuhören?

Einen ersten Einblick in die verschiedenen Formate gibt es auch auf unserer Homepage: www.stiftung-ettersberg.de/andreasstrasse/lernort-andreasstrasse. Wir haben einige Radiosendungen auf dem YouTube-Kanal der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße veröffentlicht, auch Kurzfilme von Schulklassen sind darauf zu finden. Die Kunstwerke tauchen immer wieder auf Instagram (andreasstrasse_erfurt) auf und für das Projekt »Vor dem Verschwinden. Spurensuche nach politischer Kunst aus der DDR« gibt es eine eigene Homepage: www.vor-dem-verschwinden.de

Es ist mir noch wichtig zu betonen, dass diese Projekte weder ohne aufgeschlossene Lehrerinnen und Lehrer noch Kooperationspartnerinnen und -partner aus dem künstlerischen Bereich oder der Medienbildung möglich wären.

    Weiterführende Links

      Bei Verwendung bitte als Quelle angeben: https://geschichtsbewusst.de/material/zeit-fuer-die-ddr-geschichte-moeglich-machen/

      Zeitknappheit gezielt entgegenwirken

      Bund für Bildung: Welche zentrale Herausforderung begegnet Dir bei Deiner Arbeit immer wieder?

      Judith Mayer: Zeit ist die große Herausforderung fast aller Gruppen, die zu uns kommen. Ein bis zwei Geschichtsstunden haben Jugendliche pro Woche in der 10. Klasse. Nach dem Nationalsozialismus soll mit der DDR die zweite deutsche Diktatur in einem Schuljahr vermittelt werden. Die Komplexität der DRR lässt sich schwer in einigen wenigen Geschichtsstunden zum Jahresende darstellen. In vielen Lehrplänen ist das Lernen am anderen Ort verankert, doch auch die Zeit dafür ist begrenzt. Um dieser Verknappung entgegenzuwirken, bieten wir in der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße fächerübergreifende Bildungsformate an, die einen Teil dieser Herausforderungen abfangen. Die Freistellung für die Gedenkstättenfahrt können so schulintern besser begründet werden.

      Raum für fächerübergreifende Formate

      Welche fächerübergreifenden Formate habt ihr entwickelt?

      Besonders im Bereich Medienbildung sind wir fächerübergreifend tätig. Regelmäßig kooperieren wir mit Radio F.R.E.I., einem lokalen Radiosender aus Erfurt. »Andreasstraße ON AIR« heißt das gemeinsame Projekt. Die Schulklasse erstellt in zwei bis fünf Tagen eine Sendung, die im Programm von Radio F.R.E.I. ausgestrahlt und im Internet zum Download bereitgestellt wird. Neben der Möglichkeit, die Geschichte des Ortes zu erforschen, lernen die Schülerinnen und Schüler auch die Redaktions- und Studioarbeit kennen. Die Klasse wird in die journalistischen Grundlagen sowie Radiotechnik eingeführt, um anschließend eigenständig Audiobeiträge zu selbstgewählten Themen zu erstellen. Dabei können die Lernenden selbstständig Interviews führen und das im Workshop erlernte Wissen in ihren Beiträgen anwenden. Diese Form der Erarbeitung und Ergebnispräsentation ermöglicht der Klasse einen kreativen Zugang zur Geschichte des Hauses. Auch die Thüringer Landesmedienanstalt ist in diesem Zusammenhang eine wichtige Kooperationspartnerin. Wir arbeiten für dieses Projekt im Tandem mit Medienpädagoginnen und Medienpädagogen, die nicht nur die Technik erklären, sondern auch, wie journalistisches Arbeiten funktioniert, Interviews geführt oder Beiträge gebaut werden.

      Fachspezifischer Zugänge in Bildungsangebote einbinden

      Es sind meist die Deutschlehrerinnen und – lehrer, die uns Anfragen schicken, denn das Thema »Literatur und Zensur in der DDR« ist auch ein gern nachgefragtes Thema. Aber auch Lehrkräfte für Sozialkunde, Wirtschaft und Recht, Ethik oder Religion fragen uns für entsprechende Schwerpunktsetzungen am. Hier gehen wir in Führungen vertiefend auf Planwirtschaft, politische Parteien, fehlende Gewaltenteilung oder die Kirchen in der DDR ein. Zu all diesen Themen gibt es Räume in der Dauerausstellung, sprechen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auf Medienstationen und bieten Exponate Auseinandersetzungsmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang gibt es auch eine steigende Nachfrage an fremdsprachigen Führungen, etwa für bilinguale Schulklassen, die ganze Schulfächer in Fremdsprachen vermittelt bekommen.

      Durch die Comics in der Dauerausstellung und auf dem Kubus machen wir natürlich auch immer wieder künstlerische Projekte. Dann arbeiten wir mit Grafikerinnen und Grafikern oder Zeichnerinnen und Zeichnern zusammen.  Unser aktuelles Projekt »Vor dem Verschwinden. Spurensuche nach politischer Kunst aus der DDR« verbindet den Geschichts- und Kunstunterricht, kann je nach Kunstwerk aber auch andere Berichte des Lebens in der DDR aufgreifen.

      Beim Vorwissen der Jugendlichen ansetzen

      Welchen Mehrwert bieten diese Formate?

      Schülerinnen und Schüler besuchen die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße mit einem bestimmten Bild und Vorwissen über die DDR. Nach ihren Vorstellungen gefragt, berichten Jugendliche zu Beginn von Führungen und Projekten von Repressions- oder Alltagserfahrungen von Verwandten oder sie erzählen Beispiele aus Filmen und Serien nach. Wir arbeiten mit diesen Vorkenntnissen, haben bei fächerübergreifenden Ansätzen aber auch noch mehr Möglichkeiten, Themen miteinander zu verknüpfen.

      Bei einem Comic- und Filmworkshop mit einer Schulklasse haben wir Gestaltungsprinzipien aus dem Kunstunterricht einbezogen und die Deutschlehrerin war begeistert, weil wir über Spannungsaufbau, wie er auch in Dramen vorkommt, gesprochen haben. Diese Vermittlungskonzepte zeigen den Jugendlichen dann auch, wo sie Wissen aus anderen Fächern anwenden können. Bei kreativen Formaten ist manchmal auch das Zeichentalent der Schülerinnen und Schüler gefragt. Die theoretische Frage, wofür sie etwas Bestimmtes in der Schule lernen, können wir in diesen Projekten auch sehr praktisch beantworten.

      Gibt es eine Möglichkeit in diese Projekte hineinzuschauen, zum Beispiel eine dieser Radiosendungen anzuhören?

      Einen ersten Einblick in die verschiedenen Formate gibt es auch auf unserer Homepage: www.stiftung-ettersberg.de/andreasstrasse/lernort-andreasstrasse. Wir haben einige Radiosendungen auf dem YouTube-Kanal der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße veröffentlicht, auch Kurzfilme von Schulklassen sind darauf zu finden. Die Kunstwerke tauchen immer wieder auf Instagram (andreasstrasse_erfurt) auf und für das Projekt »Vor dem Verschwinden. Spurensuche nach politischer Kunst aus der DDR« gibt es eine eigene Homepage: www.vor-dem-verschwinden.de

      Es ist mir noch wichtig zu betonen, dass diese Projekte weder ohne aufgeschlossene Lehrerinnen und Lehrer noch Kooperationspartnerinnen und -partner aus dem künstlerischen Bereich oder der Medienbildung möglich wären.

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          Foto: Stiftung Ettersberg / Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, Erfurt