Deutsche Teilungsgeschichte ohne Schwarz-Weiß-Zuordnungen verstehen

Peter Römer vom Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster zeigt das Potential von Biographien auf, um Identitätsräume für Jugendliche zu eröffnen und Handlungsspielräume auzuloten.
Autoren/Team

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  • Peter Römer Pädagogisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Villa ten Hompel, Münster
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Das Portal für Unterrichtsmaterial zur DDR als Gegenstand deutsch-deutscher Geschichte

Quelle: https://geschichtsbewusst.de/material/deutsche-teilungsgeschichte-als-geschichte-der-mitlebenden-verstehen/

Deutsche Teilungsgeschichte ohne Schwarz-Weiß-Zuordnungen verstehen

Autoren/Team:

Peter Römer Pädagogisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Villa ten Hompel, Münster
Peter Römer vom Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster zeigt das Potential von Biographien auf, um Identitätsräume für Jugendliche zu eröffnen und Handlungsspielräume auzuloten.

Bund für Bildung: Worin besteht die größte Herausforderung bei der Vermittlung der deutschen Teilungsgeschichte?

Peter Römer: Die Villa ten Hompel in Münster ist fast 300 km von der innerdeutschen Grenze entfernt und so liegt auch oft eine mentale Distanz bei Schülerinnen und Schülern aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland vor. Sie nehmen die gesamtdeutsche Teilungsgeschichte oftmals als „ostdeutsche Regionalgeschichte“ wahr. Ich sehe eine zentrale Herausforderung im Unterricht darin, die Bedeutung der Teilungsgeschichte für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft heute sichtbar zu machen.

Die Villa ten Hompel ist als Geschichtsort eher der NS-Geschichte verpflichtet, trotzdem ist die deutsche Teilungsgeschichte ein wichtiges Thema für Euch. Wo finden sich besondere Möglichkeiten für die Vermittlungsarbeit?

Wir haben die Chance, mit verschiedenen Methoden darzustellen, dass es jüngste Zeitgeschichte ist: Ein subkultureller Jugendlicher aus den 80er Jahren verhielt sich ähnlich wie viele Jugendliche heute. Auch verfangen Farbbilder aus den 80er Jahren ganz anders, als wir andere geschichtliche Quellen lesen würden. Wir haben breites Material, auf das wir zurückgreifen können, beispielsweise auch Stasi-Akten. Ich würde immer empfehlen, Biographien mit einzubeziehen und natürlich außerschulische Lernorte, wo man noch einmal auf ganz andere Weise die Absurdität der deutschen Teilung verdeutlichen kann, die den Alltag ganz vieler Menschen in Deutschland – inklusive der meisten Eltern von Schülerinnen und Schülern – bestimmte.

Worin genau liegen die Mehrwerte eines biographischen Ansatzes?

Dieser bietet Identifikationsräume für Jugendliche und ermöglicht es, Schwarz-Weiß-Bilder aufzulösen. Wir können auf Uneindeutigkeiten in den Täter- und Opferrollen hinweisen und daran viel über das Leben in der DDR lernen.

Jugendlichen-Biographien ermöglichen eine große Nähe zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler heute, beispielsweise in Bezug auf Entscheidungsbereiche, die für sie aktuell anstehen, wie etwa über Ausbildungs- und Karrierechancen: So war für junge Menschen in der DDR die Tätigkeit als Informeller Mitarbeiter mit Karrierechancen verbunden. Es geht also viel um individuelle Entscheidungen und deren Auswirkungen in Demokratie oder Diktatur. Die Diskussionen hierzu können Schülerinnen und Schülern also auch Orientierung im Umgang mit zukünftigen Entscheidungsfragen bieten. So hat die ehemalige BStU, die ja jetzt in das Bundesarchiv übergegangen ist, hierzu Bildungsmaterialien erstellt. Es gibt biographische Mappen, anhand derer Jugendliche sich Geschichte beispielsweise in Rollenspielen erarbeiten können, auch zu Informellen Mitarbeitern – „IM Shenja“ ist eine tolle Mappe, die wie andere hier verzeichnete Bildungsmaterialien frei zur Bestellung in Klassensätzen angeboten werden.

Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit zu Zeitzeugengesprächen: Auf der Berlin-Exkursion „Spurensuche DDR – Leben im geteilten Deutschland“, die wir gemeinsam mit der Akademie Franz-Hitze-Haus des Bistums Münster durchführen, stellt ein Zeitzeugengespräch ein Highlight dar. Wir laden hierzu weder klar Täterinnen oder Täter noch eindeutig Verfolgte ein, sondern solche, die ganz normale Jugendliche in der DDR-Zeit waren. Schülerinnen und Schüler aus Münster wird im Gespräch offensichtlich, dass sie in einer ehemals geteilten Stadt sind, in der zumindest die Hälfte der Bevölkerung biographische Bezüge zur DDR in irgendeiner Form haben – und dass die Teilung mental noch eine enorme Bedeutung hat.

Dies wirft ja auch die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen auf…

Genau! Die Villa ten Hompel beispielsweise ist eine ehemalige Zentrale der NS-Ordnungspolizei, bezieht sich aber nicht ausschließlich auf die Zeit zwischen 1933 und 1945. Wir beziehen mit Kontinuitäten und Brüche in der Nachkriegszeit mit ein. Viele Aufarbeitungsschritte sind als Impuls von außen gekommen, auch aus der DDR, mit sogenannten „Braunbüchern“, die darauf hingewiesen haben, dass aus der NS-Zeit belastete Polizisten in Führungspositionen in den 1960er und 1970er Jahren gearbeitet haben. Genau diese Problematik, dass ein diktatorischer Staat historisch sauber arbeitet und damit Geschichtspolitik macht, können wir mit Jugendlichen heute diskutieren – und natürlich, dass die Systemkonkurrenz wichtige Schritte in der Bundesrepublik eingeleitet hat. Und dann stellt sich die Frage nach den universellen Werten, an welchen sich Staatsbedienstete orientieren. Auch Volkspolizisten haben sich am geltenden Gesetz orientiert – so auch dann nach 1990 an bundesrepublikanischem Gesetz, auch wenn sie in der DDR Maßnahmen eines nicht rechtsstaatlichen Systems umgesetzt haben. Aber diese Umsetzung von Gesetzen war eine kontinuierliche Aufgabe und genau diese Berufsrolle und ihre Reflexion kann man an diesen Orten nochmal gut anstoßen, denn auch für Schülerinnen und Schüler sind staatliche Berufe unglaublich attraktiv.

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      Bund für Bildung: Worin besteht die größte Herausforderung bei der Vermittlung der deutschen Teilungsgeschichte?

      Peter Römer: Die Villa ten Hompel in Münster ist fast 300 km von der innerdeutschen Grenze entfernt und so liegt auch oft eine mentale Distanz bei Schülerinnen und Schülern aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland vor. Sie nehmen die gesamtdeutsche Teilungsgeschichte oftmals als „ostdeutsche Regionalgeschichte“ wahr. Ich sehe eine zentrale Herausforderung im Unterricht darin, die Bedeutung der Teilungsgeschichte für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft heute sichtbar zu machen.

      Die Villa ten Hompel ist als Geschichtsort eher der NS-Geschichte verpflichtet, trotzdem ist die deutsche Teilungsgeschichte ein wichtiges Thema für Euch. Wo finden sich besondere Möglichkeiten für die Vermittlungsarbeit?

      Wir haben die Chance, mit verschiedenen Methoden darzustellen, dass es jüngste Zeitgeschichte ist: Ein subkultureller Jugendlicher aus den 80er Jahren verhielt sich ähnlich wie viele Jugendliche heute. Auch verfangen Farbbilder aus den 80er Jahren ganz anders, als wir andere geschichtliche Quellen lesen würden. Wir haben breites Material, auf das wir zurückgreifen können, beispielsweise auch Stasi-Akten. Ich würde immer empfehlen, Biographien mit einzubeziehen und natürlich außerschulische Lernorte, wo man noch einmal auf ganz andere Weise die Absurdität der deutschen Teilung verdeutlichen kann, die den Alltag ganz vieler Menschen in Deutschland – inklusive der meisten Eltern von Schülerinnen und Schülern – bestimmte.

      Worin genau liegen die Mehrwerte eines biographischen Ansatzes?

      Dieser bietet Identifikationsräume für Jugendliche und ermöglicht es, Schwarz-Weiß-Bilder aufzulösen. Wir können auf Uneindeutigkeiten in den Täter- und Opferrollen hinweisen und daran viel über das Leben in der DDR lernen.

      Jugendlichen-Biographien ermöglichen eine große Nähe zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler heute, beispielsweise in Bezug auf Entscheidungsbereiche, die für sie aktuell anstehen, wie etwa über Ausbildungs- und Karrierechancen: So war für junge Menschen in der DDR die Tätigkeit als Informeller Mitarbeiter mit Karrierechancen verbunden. Es geht also viel um individuelle Entscheidungen und deren Auswirkungen in Demokratie oder Diktatur. Die Diskussionen hierzu können Schülerinnen und Schülern also auch Orientierung im Umgang mit zukünftigen Entscheidungsfragen bieten. So hat die ehemalige BStU, die ja jetzt in das Bundesarchiv übergegangen ist, hierzu Bildungsmaterialien erstellt. Es gibt biographische Mappen, anhand derer Jugendliche sich Geschichte beispielsweise in Rollenspielen erarbeiten können, auch zu Informellen Mitarbeitern – „IM Shenja“ ist eine tolle Mappe, die wie andere hier verzeichnete Bildungsmaterialien frei zur Bestellung in Klassensätzen angeboten werden.

      Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit zu Zeitzeugengesprächen: Auf der Berlin-Exkursion „Spurensuche DDR – Leben im geteilten Deutschland“, die wir gemeinsam mit der Akademie Franz-Hitze-Haus des Bistums Münster durchführen, stellt ein Zeitzeugengespräch ein Highlight dar. Wir laden hierzu weder klar Täterinnen oder Täter noch eindeutig Verfolgte ein, sondern solche, die ganz normale Jugendliche in der DDR-Zeit waren. Schülerinnen und Schüler aus Münster wird im Gespräch offensichtlich, dass sie in einer ehemals geteilten Stadt sind, in der zumindest die Hälfte der Bevölkerung biographische Bezüge zur DDR in irgendeiner Form haben – und dass die Teilung mental noch eine enorme Bedeutung hat.

      Dies wirft ja auch die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen auf…

      Genau! Die Villa ten Hompel beispielsweise ist eine ehemalige Zentrale der NS-Ordnungspolizei, bezieht sich aber nicht ausschließlich auf die Zeit zwischen 1933 und 1945. Wir beziehen mit Kontinuitäten und Brüche in der Nachkriegszeit mit ein. Viele Aufarbeitungsschritte sind als Impuls von außen gekommen, auch aus der DDR, mit sogenannten „Braunbüchern“, die darauf hingewiesen haben, dass aus der NS-Zeit belastete Polizisten in Führungspositionen in den 1960er und 1970er Jahren gearbeitet haben. Genau diese Problematik, dass ein diktatorischer Staat historisch sauber arbeitet und damit Geschichtspolitik macht, können wir mit Jugendlichen heute diskutieren – und natürlich, dass die Systemkonkurrenz wichtige Schritte in der Bundesrepublik eingeleitet hat. Und dann stellt sich die Frage nach den universellen Werten, an welchen sich Staatsbedienstete orientieren. Auch Volkspolizisten haben sich am geltenden Gesetz orientiert – so auch dann nach 1990 an bundesrepublikanischem Gesetz, auch wenn sie in der DDR Maßnahmen eines nicht rechtsstaatlichen Systems umgesetzt haben. Aber diese Umsetzung von Gesetzen war eine kontinuierliche Aufgabe und genau diese Berufsrolle und ihre Reflexion kann man an diesen Orten nochmal gut anstoßen, denn auch für Schülerinnen und Schüler sind staatliche Berufe unglaublich attraktiv.

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          Foto: Villa ten Hompel / Bert Sterk, Ausschnitt