Geschichte(n) erfragen, schreiben und zeichnen

Jochen Voit, Leiter der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in Erfurt, möchte Lehrkräfte ermutigen, Graphic Novels im Geschichtsunterricht einzusetzen
Autoren/Team

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  • Dr. Jochen Voit Leiter der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, Erfurt
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Das Portal für Unterrichtsmaterial zur DDR als Gegenstand deutsch-deutscher Geschichte

Quelle: https://geschichtsbewusst.de/material/geschichten-erfragen-schreiben-und-zeichnen/

Geschichte(n) erfragen, schreiben und zeichnen

Autoren/Team:

Dr. Jochen Voit Leiter der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, Erfurt
Jochen Voit, Leiter der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße in Erfurt, möchte Lehrkräfte ermutigen, Graphic Novels im Geschichtsunterricht einzusetzen

„Das einzige, was ich in meinem Leben bedaure, ist, dass ich niemals Comics gezeichnet habe.“

Pablo Picasso

Ein komplexes Thema anschaulich vermitteln

Bund für Bildung: Worin besteht Deiner Meinung nach die größte Herausforderung bei der Vermittlung deutscher Teilungsgeschichte im Unterricht?

Jochen Voit: Es ist für Lehrkräfte kaum schaffbar, so ein komplexes Thema in kurzer Zeit im Klassenraum anschaulich zu vermitteln. Und da kommen wir mit unseren Angeboten ins Spiel…

Ihr seid ein außerschulischer Lernort zur deutschen Diktatur- und Demokratiegeschichte, der sich in einem ehemaligen Gefängnis befindet; zu DDR-Zeiten war hier eine Stasi-U-Haftanstalt untergebracht. Könnt Ihr einer Schulklasse in einer anderthalbstündigen Führung durch Eure Dauerausstellung zur SED-Diktatur in Thüringen beibringen, was im Geschichtsunterricht nicht geschafft wurde?

Nein, aber wir können Interesse wecken für eine Zeit, die für junge Menschen schon sehr weit weg ist. Wir regen sie an, Fragen zu stellen, etwa auch ihrem persönlichen Umfeld nach Geschichten zu suchen, die Erfahrungen von Diktatur und demokratischer Selbstbehauptung widerspiegeln. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass Zeitgeschichte kein festgeklopfter Wissenskanon ist, sondern ein ziemlich bunter Teppich, an dem sie mitweben können.

Wie meinst Du das?

Wir können den Lehrkräften nicht abnehmen, die politischen Rahmenbedingungen des Kalten Krieges zu vermitteln. Aber wir sorgen in Workshops und Projekttagen dafür, dass Schülerinnen und Schüler Spaß daran finden, sich eigene Themen zu suchen, selbständig zu recherchieren und sich an kreativen Formen des Storytellings zu versuchen. Zum Beispiel haben wir zusammen mit jungen Leuten einen 20-minütigen Film gemacht über eine Erfurter Widerstandsgruppe aus dem Jahr 1943, die zuvor noch völlig unbekannt war. Ein Mitglied dieser jugendlichen Widerstandsgruppe, Karl Metzner, war glücklicherweise noch am Leben, sodass wir ihn interviewen konnten. Dabei stellte sich heraus, dass er auch später, in der DDR, unangepasst war und als Pfarrer mit der SED-Diktatur in Konflikt geriet.

Eine Geschichte, die Ihr zusammen mit einem professionellen Zeichner in der Graphic Novel „NIEDER MIT HITLER! Oder warum Karl kein Radfahrer sein wollte“ verarbeitet habt …

Ja, wir stehen für popkulturelle und niedrigschwellige Formate der Geschichtsvermittlung. Bei uns in der Andreasstraße kreieren junge Leute Stop-Motion-Filme, Songs und Comics. Aktuell laden wir Lehrkräfte ein, gemeinsam mit ihrer Schulklasse nach vergessener DDR-Kunst an ihrem Heimatort zu suchen. Das Projekt heißt VOR DEM VERSCHWINDEN, es geht dabei um die Auseinandersetzung mit politischer Kunst damals und heute.

Warum setzt Ihr in der Bildungsarbeit speziell auf Zeichnungen und Comics?

So sprechen wir heterogene Gruppen an. Ein diverses Publikum findet etwa über die universell verständliche Bildsprache des Comic-Künstlers Simon Schwartz leicht einen Zugang zum Thema Friedliche Revolution. Diesem Thema ist das große Wandbild mit der weithin sichtbaren Parole „KEINE GEWALT!“ gewidmet, das als Wahrzeichen unserer Gedenkstätte auf dem verspiegelten Kubus, unserem Veranstaltungsraum, prangt. Als Einstimmung ins Thema Deutsche Teilungsgeschichte empfehle ich als Klassenlektüre den Comic „DRÜBEN“ von Simon Schwartz. Toll sind auch „KINDERLAND“ von Mawil und „MADGERMANES“ von Birgit Weyhe. Es gibt mittlerweile so viele tolle Graphic Novels zum Thema, einfach mal reinblättern!

Downloads

  1. Comics im Museum: Sozialismus partizipativ (über-)zeichnen?https://geschichtsbewusst.de/wp-content/uploads/2022/04/Comics_im_Museum.pdf

Weiterführende Links

Einzelnachweis

  1. Jochen Voit (Text) und Hamed Eshrat (Zeichnungen): NIEDER MIT HITLER! oder Warum Karl kein Radfahrer sein wollte. Berlin (avant) 2018.
  2. Jochen Voit (Text) und Sophia Hirsch (Zeichnungen): Ernst Busch. Der letzte Prolet. Berlin (avant) 2021.

Bei Verwendung bitte als Quelle angeben: https://geschichtsbewusst.de/material/geschichten-erfragen-schreiben-und-zeichnen/

„Das einzige, was ich in meinem Leben bedaure, ist, dass ich niemals Comics gezeichnet habe.“

Pablo Picasso

Ein komplexes Thema anschaulich vermitteln

Bund für Bildung: Worin besteht Deiner Meinung nach die größte Herausforderung bei der Vermittlung deutscher Teilungsgeschichte im Unterricht?

Jochen Voit: Es ist für Lehrkräfte kaum schaffbar, so ein komplexes Thema in kurzer Zeit im Klassenraum anschaulich zu vermitteln. Und da kommen wir mit unseren Angeboten ins Spiel…

Ihr seid ein außerschulischer Lernort zur deutschen Diktatur- und Demokratiegeschichte, der sich in einem ehemaligen Gefängnis befindet; zu DDR-Zeiten war hier eine Stasi-U-Haftanstalt untergebracht. Könnt Ihr einer Schulklasse in einer anderthalbstündigen Führung durch Eure Dauerausstellung zur SED-Diktatur in Thüringen beibringen, was im Geschichtsunterricht nicht geschafft wurde?

Nein, aber wir können Interesse wecken für eine Zeit, die für junge Menschen schon sehr weit weg ist. Wir regen sie an, Fragen zu stellen, etwa auch ihrem persönlichen Umfeld nach Geschichten zu suchen, die Erfahrungen von Diktatur und demokratischer Selbstbehauptung widerspiegeln. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass Zeitgeschichte kein festgeklopfter Wissenskanon ist, sondern ein ziemlich bunter Teppich, an dem sie mitweben können.

Wie meinst Du das?

Wir können den Lehrkräften nicht abnehmen, die politischen Rahmenbedingungen des Kalten Krieges zu vermitteln. Aber wir sorgen in Workshops und Projekttagen dafür, dass Schülerinnen und Schüler Spaß daran finden, sich eigene Themen zu suchen, selbständig zu recherchieren und sich an kreativen Formen des Storytellings zu versuchen. Zum Beispiel haben wir zusammen mit jungen Leuten einen 20-minütigen Film gemacht über eine Erfurter Widerstandsgruppe aus dem Jahr 1943, die zuvor noch völlig unbekannt war. Ein Mitglied dieser jugendlichen Widerstandsgruppe, Karl Metzner, war glücklicherweise noch am Leben, sodass wir ihn interviewen konnten. Dabei stellte sich heraus, dass er auch später, in der DDR, unangepasst war und als Pfarrer mit der SED-Diktatur in Konflikt geriet.

Eine Geschichte, die Ihr zusammen mit einem professionellen Zeichner in der Graphic Novel „NIEDER MIT HITLER! Oder warum Karl kein Radfahrer sein wollte“ verarbeitet habt …

Ja, wir stehen für popkulturelle und niedrigschwellige Formate der Geschichtsvermittlung. Bei uns in der Andreasstraße kreieren junge Leute Stop-Motion-Filme, Songs und Comics. Aktuell laden wir Lehrkräfte ein, gemeinsam mit ihrer Schulklasse nach vergessener DDR-Kunst an ihrem Heimatort zu suchen. Das Projekt heißt VOR DEM VERSCHWINDEN, es geht dabei um die Auseinandersetzung mit politischer Kunst damals und heute.

Warum setzt Ihr in der Bildungsarbeit speziell auf Zeichnungen und Comics?

So sprechen wir heterogene Gruppen an. Ein diverses Publikum findet etwa über die universell verständliche Bildsprache des Comic-Künstlers Simon Schwartz leicht einen Zugang zum Thema Friedliche Revolution. Diesem Thema ist das große Wandbild mit der weithin sichtbaren Parole „KEINE GEWALT!“ gewidmet, das als Wahrzeichen unserer Gedenkstätte auf dem verspiegelten Kubus, unserem Veranstaltungsraum, prangt. Als Einstimmung ins Thema Deutsche Teilungsgeschichte empfehle ich als Klassenlektüre den Comic „DRÜBEN“ von Simon Schwartz. Toll sind auch „KINDERLAND“ von Mawil und „MADGERMANES“ von Birgit Weyhe. Es gibt mittlerweile so viele tolle Graphic Novels zum Thema, einfach mal reinblättern!

Downloads

  • Comics im Museum: Sozialismus partizipativ (über-)zeichnen?Herunterladen

Weiterführende Links

Einzelnachweis

  1. Jochen Voit (Text) und Hamed Eshrat (Zeichnungen): NIEDER MIT HITLER! oder Warum Karl kein Radfahrer sein wollte. Berlin (avant) 2018.
  2. Jochen Voit (Text) und Sophia Hirsch (Zeichnungen): Ernst Busch. Der letzte Prolet. Berlin (avant) 2021.

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